Die israelische Regierung hat kuerzlich auf Kritik an den Siedlungen in den besetzten palaestinensischen Gebieten damit reagiert, dass sie die Diskussion ueber die Legitimitaet bestehender Siedlungen hin zu einer Diskussion ueber die Legitimitaet eines 'natuerlichen Wachstums' der Siedlungen gelenkt hat. Das aendert nichts daran, dass die Besetzung des palaestinensischen Landes und die Niederlassung darauf nach internationalem Recht illegal ist und entgegen politischer Normen steht.
Nach dem Sechs- Tage- Krieg von 1967 ist Israel zu einer starken Regional- und Besatzermacht herangewachsen. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen fuer den Staat Palaestina sind enorm. Die israelische Dominanz in Gaza, der Westbank und Ost- Jerusalem erlaubte es Siedlungen auf Palaestinensergebiet zu errichten, was nicht nur zu einem Verlust von palaestinensischem Land, sondern auch zum Verschwinden der definierten Grenzen gefuehrt hat.
Die internationale Gemeinschaft erkennt die Annexion dieser Laendereien nicht, seit sie im Krieg erobert wurden. Die 49. Genfer Konvention weist Israel den Status einer Besatzungsmacht zu, derzufolge es keine Teile seiner eigenen Zivilbevoelkerung in das von ihm besetzte Gebiet deportieren oder ueberfuehren soll. Nach internationalem Recht gelten die seit der Besetzung 1967 von Israel errichteten Siedlungen als illegal. Als die israelischen Siedlungen in den eingenommenen palaestinensischen Gebieten einen Wachstumsschub erlebten, wurden die israelischen Absichten offensichtlicher, naemlich sich das besetzte Territorium als Eigentum einzuverleiben und die Laendereien als zukuenftiges Verhandlungsinstrument gegen andere palaestinensische Forderungen zu nutzen.
Wie klassifiziert man natuerliches Wachstum?
Mit natuerlichem Wachstum ist die naturgemaesse Tendenz von Familien gemeint, die ueber die Zeit hinweg Kinder bekommen und somit wachsen, aber auch das dementsprechende Beduerfnis Land zu besitzen, um nachfolgende Generationen abzusichern. So eine Beschreibung passt auf einen normalen Lebensweg- aber sie ist sicher nicht fuer das besetzte Gebiet anwendbar, weswegen jeder israelischer Bau in der Westbank und in Ost- Jerusalem- sei er alt oder neu oder gestuetzt auf der Behauptung eines natuerlichen Wachstums- illegal ist.
Isrealische Behauptungen- Israelische Siedler und die israelische Regierung behaupten, dass das natuerliche Wachstum notwendig sei, um die fuer die Erhaltung zukuenftiger Generationen benoetigten Kapazitaeten sicherzustellen. 'Jedes Jahr findet eine stille Vertreibung von tausenden von jungen Paaren ueberall in Judaea und Samaria (die Westbank) statt. Sie sind gezwungen ihre Gemeinden zu verlassen, weil die israelische Regierung ueber Jahre hinweg mit dem Haeusermangel und Budgetnullrunden weitergemacht hat,' sagte Danny Dayan, Chef des Yesha Siedlungsrates
Die Motivation der Siedler- Es gibt zahlreiche Gruende fuer Siedler in die Westbank oder nach Ost- Jerusalem zu ziehen. Fuer viele sind es die finanziellen Anreize, welche die israelische Regierung fortlaufend bereitstellt und die ihnen die Chance auf ein einfacheres und sehr attraktives Leben in den Siedlungen bieten. Die Haeuserpreise sind in vielen israelischen Siedlungen bedeutend geringer, weshalb es junge Paerchen und neue Immigranten hier hinzieht. Diese Art von Siedler sind hauptsaechlich an der westlichen Seite der Westbank entlang der gruenen Linie konzentriert. Fuer andere gibt es ueberzeugende ideologische Gruende sich in der Westbank, oder wie sie es nennen, Judaea und Samaria, niederzulassen. Diese Siedler leben entlang der Ridge Linie, glauben dass das Land ihnen von Gott gegeben wurde und es ihr Recht und ihre Pflicht sei, sich dort anzusiedeln. Die finanziellen Anreize sind dann sogar noch attraktiver. Zu guter letzt gibt es auch noch auf Landwirtschaft basierende Siedlungen im Jordantal. Die Landwirte siedeln sich hier aus oekonomischen Gruenden an. Die Regierung stellt ihnen und ihren Farmen und Plantagen ein deftiges Unterstuetzungspaket zur Verfuegung.
Die Sache mit dem natuerlichen Wachstum
Die Sache mit dem natuerlichen Wachstum hat sich in juengster Zeit zur hauptsaechlichen Thematik in Bezug auf die Siedlungen entwickelt. Tatsache ist jedoch, dass es nur eines neben anderen Kernthemen ist, wie etwa die Rechtswidrigkeit aller Siedlungen, das Thema Umgehungsstrassen und andere Formen von Besiedlungsaktivitaeten im besetzten palaestinensischen Territorium.
Die Nachfrage nach neuen Haeusern- Es bestehen Bedenken, dass die Baurate analog eines 'natuerlichen Wachstums' der Gemeinden die Baurate des tatsaechlichen natuerlichen Wachstums erheblich ueberschreitet. Nicht bestaetigten Schaetzungen zu Folge liegt die Zahl fertig gebauter, aber leerstehender Haeuser in den Siedlungen zwischen 5 bis 20 Prozent. Es scheint so, als ob der Bau fuer zukuenftige Siedlerfamilien gemacht wird und hauptsaechlich der Expansion des von Israel kontrollierten Landes in der Westbank dient. Israel schafft somit erzwungene Fakten vor Ortund glaubt, dass welches Land ihnen auch immer gehoere in ihren Haenden verbleibt und von jedweden zukuenftigen Verhandlungen mit den Palaestinensern ausgeschlossen sei. Man nehme als Beispiel die Siedlung von Givat Ze'ev. Sie liegt ausserhalb der illegal definierten Grenze von Jerusalem, hat eine Bevoelkerung von etwa 12,000 Menschen und eine Wachstumsrate von weniger als 100 Menschen pro Jahr, sowohl 2006 als auch 2007. Trotzdem hat man in dieser Gemeinde ein Projekt mit 700 Haeusereinheiten auf den Weg gebracht. Diese Einheiten werden zwangslaeufig von Migranten oder neuen Siedlerfamilien genutzt werden und nicht fuer ein 'natuerliches Wachstum' der bereits bestehenden Bevoelkerung.
Statistiken des Applied Research Instituts in Jerusalem zeigen zudem, dass die Zahl geplanter Haeusereinheiten in der Westbank drastisch gestiegen sind: von 12,131 Einheiten im Jahr 2001 auf 41,350 Einheiten im Jahr 2008 (s.Diagramm A). Im Durchschnitt sind somit zwischen 2001 und 2008 21,551 Einheiten geplant worden. Der drastischste Anstieg liegt in den Jahren von 2006 auf 2007 mit einer Steigerung von 602%.
Diagramm A: ARIJ: Neu geplanter Bau von Haeusereinheiten in den Siedlungen der Westbank
Kuerzlich bekannt gegebenen Angaben des Zentralen Statistikamtes zur Folge war das Bevoelkerungswachstum in den Siedlungen im Jahr 2007 mit 79% nur marginal, was bedeutet, dass es entweder eine Bevoelkerungsabnahme oder eine Wachstumsrate von weniger als 100 Menschen gegeben hat. Im Jahr 2008 waren nur drei Siedlungen fuer 57% des gesamten Bevoelkerungsanstiegs verantwortlich, naemlich Modi'in Illit, Betar Illit and Ma'aleh Adumim. Diese Information widerspricht der israelischen Behauptung, dass es eine breite Notwendigkeit fuer ein natuerliches Wachstum an Baueinheiten quer ueber alle Siedlungsgemeinschaften gebe. Tatsaechlich treiben diese drei Gemeinden das Wachstum der gesamtes Siedlungsbevoelkerung an und verbergen, dass fuer die ueberwaeltigende Mehrheit der Siedlungen es keine Notwendigkeit fur ein 'natuerliches Wachstum' gibt, da das Bevoelkerungswachstum marginal, bzw. abnehmend ist
Man kann davon ausgehen, dass in den Gemeinden, wo Wohnungsnot vorherrscht, dies an den Migranten liegt und nicht dem Wachstum dort vorhandener Familien geschuldet ist.
Obwohl die Emigration nach Israel mit Beginn der zweiten Intifada im Jahr 2000 abgenommen hat, gibt es doch einen stetigen Zustrom an Emigranten. Dem israelischen statistischen Zentralamt zu Folge kommen jedes Jahr etwa 20,000 neue Emigranten nach Israel (Periode von 2003-2007, s. Diagramm B)
Sie sind am wenigsten in die Gesellschaft integriert und zugleich die Nutzniesser der Siedlungswachstumspolitik.
Diagramm B:CBS: Emigration nach Israel von 1996 – 2007
Eine berechtigte Nachfrage?– Kritiker des natuerlichen Wachstums wiedersprechen der Forderung, dass Israel es jedem jungen Paar in den Siedlungen ermoeglichen muesse eine passende Unterkunft in der Westbank zu finden . Die Politik des natuerlichen Wachstums zeigt sich ironisch: Einerseits erlaubt die israelische Regierung den Bau in den Siedlungen zum Zwecke des natuerlichen Wachstums. Andererseits enthaelt sie den Palaestinensern, die ebenso natuerlich wachsen, systematisch Baugenehmigungen vor und reisst palaestinensische Haeuser in der Westbank ab.
Daten des Applied Research Instituts in Jerusalem (ARIJ) zeigen, dass zwischen 2000 und 2009 im Schnitt 573 palaestinensische Haeuser in der Westbank und in Jerusalem vom Abriss bedroht waren, waehrend aktuell im Durchschnitt 190 palaestinensische Haeuser in der Westbank und in Jerusalem zerstoert werden (s. Diagramm C). Dabei ist es wichtig anzumerken, dass die Haelfte aller Abrisse von palaestinensischen Haeusern in Ost- Jerusalem stattfanden (633 Haeuser). Es hat den Anschein, dass Israel strategisch und konzertiert versucht die Palaestinenser aus Jerusalem zu vertreiben, um die Kontrolle ueber die Stadt zu erlangen.Diese versuchte Vertreibung passt mit der Rehotrik Israels zusammen, wonach ein vereintes Jerusalem die Hauptstadt des israelischen Staates werden soll. ) zeigen, dass zwischen 2000 und 2009 im Schnitt 573 palaestinensische Haeuser in der Westbank und in Jerusalem vom Abriss bedroht waren, waehrend aktuell im Durchschnitt 190 palaestinensische Haeuser in der Westbank und in Jerusalem zerstoert werden (s. Diagramm C). Dabei ist es wichtig anzumerken, dass die Haelfte aller Abrisse von palaestinensischen Haeusern in Ost- Jerusalem stattfanden (633 Haeuser). Es hat den Anschein, dass Israel strategisch und konzertiert versucht die Palaestinenser aus Jerusalem zu vertreiben, um die Kontrolle ueber die Stadt zu erlangen.Diese versuchte Vertreibung passt mit der Rehotrik Israels zusammen, wonach ein vereintes Jerusalem die Hauptstadt des israelischen Staates werden soll.
Chart C:ARIJ: Bedrohte und bereits zerstoerte palaestinensische Haeuser in der Westbank und in Ost- Jerusalem
Politisches Framing – Die vermehrte Rhetorik und die Betonung des Themas 'natuerliches Wachstum' lenkt die politische Aufmerksamkeit weg von der Illegalitaet der Aussenposten und Siedlungsbewegungen, merken die Gegner an. Waehrend Politiker weiterhin ueber die Definition und Rechmaessigkeit des natuerlichen Wachstums diskutieren, wird der Druck, die etablierten Siedlungen in der Westbank und in Ost- Jerusalem abzubauen, geschwaecht.
Politische Aeusserungen der USA und Israel
Amerikas Praesident Obama hielt juengst in Kairo eine versoehnliche Rede an die muslimische Welt, die von vielen Palaestinensern wohlwollend aufgenommen wurde. Er stellte unter anderem fest, 'dass die Vereinigten Staaten die Legitimitaet der sich weiter ausweitetenden Siedlungen nicht akzeptiert.. Dieser Bau verletzt vorangehende Abkommen und untergraebt die Friedensbemuehungen. Fuer diese Siedlungen ist es Zeit anzuhalten'.
Als Antwort auf die von US- Praesident Obama gehaltene Rede hielt der israelische Premierminister Netanyahu am 14. Juni eine aussenpolitische Ansprache an der Bar Ilan Universitaet. Er sagte: 'Die territorialen Angelegenheiten werden in einem dauerhaften Abkommen diskutiert werden. Bis dahin haben wir nicht die Absicht neue Siedlungen zu bauen oder Land fuer neue Siedlungen beiseite zu schaffen.' Waehrend er behauptet, dass es keinen Plan fuer den Bau neuer Siedlungen gebe, adressiert er nicht das Wachstumsproblem in den bereits existierenden Siedlungen.
Die Vereinigten Staaten nannten Netanyahus Antwort einen wichtigen Schritt vorwaerts, obwohl er den Friedensprozess in Bezug auf die Siedlungsangelegenheit nicht vorangebracht hat. Er bestreitet es weiterhin, dass Siedlungen verschoben oder entfernt werden muessen, um einen durchgehenden Palaestinenserstaat zu errichten. An Stelle dessen betont er seine unaufrichtige Zusage zur Stilllegung des Siedlungsbaus- ohne sich zum natuerlichen Wachstum der Siedlungen zu aeussern oder sich festzulegen.
Erst vor kurzem hat der israelische Aussenminister Avigdor Liebermann es ausgeschlagen, dass Siedlungen eine Barriere fuer den Frieden darstellen und lehnte den erneuten Aufruf der USA, eine vollstaendige Stilllegung des Siedlungsbaus, inklusive des Baus wegen natuerlichen Wachstums, ab
Schlussbemerkung
Die Angelegenheit mit dem natuerlichen Wachstum ist ein zentraler Schauplatz in der politischen Debatte geworden. Wie oben dargestellt, kann die Rechtfertigung und Notwendigkeit des natuerlichen Wachstums in den Siedlungen der Westbank und in Ost- Jerusalem angezweifelt werden. Die Statistiken belegen: Die Siedlungsgemeinden brauchen die von ihnen wegen eines natuerlichen Wachstums geforderte Menge an neuen Bauten nicht, denn tatsaechlich ist ihr Bevoelkerungswachstum nur marginal. Die Sache mit dem natuerlichen Wachstum ist nur ein politisches Wortspiel, dass die Israelis dazu nutzen, um weiterhin die illegalen Siedlungen im besetzten palaestinensischen Territorium zu expandieren.
[1] http://www.haaretz.com/hasen/spages/1084706.html
[2] http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1244371086785&pagename=JPost%2FJPArticle%2FShowFull
[3] http://www.jpost.com/servlet/Satellite?cid=1244371086785&pagename=JPost%2FJPArticle%2FShowFull
[4] Central Bureau of Statistics, Israel. http://www.cbs.gov.il/archive/200804/yarhon/e2_e.htm
[5] http://www.haaretz.com/hasen/spages/1086050.html
[6] http://english.aljazeera.net/news/americas/2009/06/2009617192532456427.html
Prepared by:
The Applied Research Institute – Jerusalem